Volksdorf: SCHACH seit 75 Jahren

1948

Welch ein ereignisreiches Jahr  –  drei Jahre nach Kriegsende:

Auf der Londoner Sechsmächtekonferenz erfolgte eine erste bedeutende Weichenstellung in Richtung auf die geplante Etablierung eines westdeutschen Staates, große Währungsreform mit Einführung der D-Mark in den westlichen Besatzungszonen, Ludwig Erhard betrat die politische Bühne und bereitete das Deutsche Wirtschaftswunder vor. Neben dem Erscheinen erster Auflagen von Quick, Stern und Welt am Sonntag wurde das Hamburger Abendblatt gegründet und startete mit 60.000er Auflage im Oktober. Der erste Porsche lief vom Band, die erste Vinyl-Platte kam auf den Markt; die UN deklarierte die Menschenrechte. Auch sportlich gab es zukunftsweisende Ereignisse: 1.Deutsche (Nachkriegs-)Fußballmeisterschaft, die der 1. FC Nürnberg gewann, Olympische Winterspiele in St. Moritz, olympische Sommerspiele in London. Und im Weltschach? Der erste Nachkriegsweltmeister wurde in einem Rundenturnier, erstmals unter Federführung des Weltschachverbandes FIDE ermittelt. Michael Botwinnik gewann das Turnier, ausgetragen in Den Haag und Moskau mit großem Vorsprung vor Smyslow und sicherte damit die Vorherrschaft des russischen Schachs für viele Jahre.

Und in Hamburg – Volksdorf?

Am 5. September 1948 fand die Gründungsversammlung des Volksdorfer Schachklubs im Waldhaus Richter, Mellenbergweg 9, statt. Einige Leser werden den beliebten Gasthof noch erinnern, wurde er doch erst 2017 abgerissen. Zur Vereins-Gründung rief der 34-jährige Büroangestellte Ernst-August Linfeldt auf, weitere sieben Schachbegeisterte folgten der Einladung. Die kurze Eröffnungsansprache von Linfeldt blieb erhalten:

„Liebe Schachfreunde! Ich danke Ihnen für Ihr zahlreiches Erscheinen und begrüße Sie herzlichst. Wie Sie alle wissen, besteht seit geraumer Zeit eine Schacharbeitsgemeinschaft in Volksdorf, hervorgegangen aus dem Reichsbund für Körperbehinderte und Kriegshinterbliebene. Im Lauf der Zeit fanden weitere Schachfreunde den Weg zu uns. Wöchentlich einmal trafen wir uns in diesem Lokal, um unsere Kräfte im Schachspiel zu messen. Die Beteiligung der einzelnen Spieler an diesen Spielabenden war so regelmäßig, dass ich mich entschloss, den Weg zur Gründung eines Schachklubs in Volksdorf zu ebnen. Ich möchte jetzt abstimmen lassen, ob Sie mit der Gründung eines Schachklubs einverstanden sind.“

Und so geschah es, ein Vorstand wurde gewählt, Linfeldt zum ersten 1. Vorsitzenden, der Monatsbeitrag auf DM 1,- festgelegt, eine Turnierordnung für die erste Klubmeisterschaft gleich im Herbst 1948 verabschiedet. Noch eine Besonderheit ist zu vermerken: Am 1.10. 48 trat ein junger Mann in den Schachklub ein, der bald mit seiner Spielstärke und seiner Angriffslust von sich reden machte. Sein Name Harald Senft. Er hielt bis zum Jahr 2019 treu zum Verein, sagenhafte 71 Jahre.

Der Klub war von Beginn an um Mitgliederzuwachs bemüht. Plakate wurden im Dorfe ausgehängt, selbst im Kino wurde Werbung gemacht. Zum Ende des Gründungsjahres verzeichnete man bereits 32 Mitglieder, etwa die Stärke, die sich über die Jahre mit kurzen Unterbrechungen bis heute stetig hielt.

Vieles hat sich im Lauf der Jahrzehnte verändert: Die Hamburger Mannschaftsmeisterschaften mussten bis in die 70er Jahre hinein mit einer Mannschaftsstärke von über 30 Spielern bestritten werden, was mitunter zu Problemen führte. Heute, bei den gewohnten 8er Mannschaften, nicht mehr vorstellbar. Aus der Spielstärkemesszahl INGO (nach der Stadt Ingolstadt) wurden DWZ (Deutsche Wertungszahl) und ELO (nach dem amerikanischen Erfinder ELO). Bei der Ingo-Zahl kam eine Umkehrung der Bewertung zum Ansatz: Je niedriger die Ingo-Zahl war, desto besser war der Spieler.

Auch die Spielstätte des Klubs wechselte vielfach: vom Waldhaus Richter ins Hotel Stadt Hamburg (heute Weiße Rose Platz), ins Hotel Sieben Buchen, in die Gaststätte Sommerlust und dann Einzug in die Räucherkate am 25.8.1966, in der man bis heute – nur zwangsweise wegen Brand und Wiederaufbau unterbrochen – dem geliebten Spiel nachgeht. Eine weitere Kontinuität des Vereins zeigt die kurze Liste der Vorstandsvorsitzenden über das Dreivierteljahrhundert:
Ernst-August Linfeldt (1948-1953), Erich Hansen (1953-1954), Willi Burow (1955-1970, Otto Wohlers (1970-1978), Karl Frings (1978-1989), Günther Klemm (1989-2019), Rudolf Angeli (2019 bis heute)

Bei Günther Klemm ist nicht nur bemerkenswert, dass er 30 Jahre lang die Geschicke des Vereins erfolgreich führte, sondern, dass er mit der Hinführung seiner Söhne Günter und Stefan zum Spiel und in den Klub eine Art „Klemm-Dynastie“ im Verein etablierte. Vor wenigen Monaten fand sogar sein Enkel Anton den Weg zu uns ins Klubheim. So etwas stärkt jeden Verein.

Nur wenige Bilder finden sich in den Annalen aus den frühen Jahren. Das erste, das ich entdeckte, stammt aus dem Jahre 1954 und zeigt, dass der Klub schon immer gerne mit vielen Spielern (manchmal auch mit ihren Frauen, Partnerinnen) auch weitere Reisen zu Turnieren oder Freizeitvergnügen unternahm:

 

Zum 10jährigen Jubiläum startete der Klub im Oktober 1958 seine eigene Vereinszeitung, die bis in die 2000er Jahre hinein eifrig mit Lesestoff über das Klubleben und das königliche Spiel publiziert wurde.

In dieser Erstausgabe der Zeitung fand ich diese sehenswerte Kurzpartie mit Kommentar: Kling (VSK) gegen Kibat (Concordia) gespielt am 3.3.58 in der A-Klasse:

In nur 10 Zügen hatte Kling seinen Gegner an die Wand gespielt.
Trocken wirkt die zugehörige Merkregel, die am Ende jedes Partieabdruckes eingefügt wurde: „Verfolge nicht nur Deine Pläne, sondern beachte in gleichem Maße die Züge Deines Gegners.“

Eigentlich Schade, dass die Tradition einer gedruckten Vereinszeitung irgendwann im Zuge der Internetisierung ihr Ende fand.

Wenn Sie nun Lust auf eine Partie Schach bekommen haben, schauen Sie doch einfach bei uns in der Kate vorbei. Wir spielen mit Sicherheit bis zum nächsten Jubiläum in 25 Jahren weiter das ewige Spiel.

Schach in Volksdorf:

Jeden Mittwoch ab 19 Uhr in der Räucherkate, Claus-Ferck-Straße 43

im Volksdorfer Schachklub von 1948 e.V.
https://www.volksdorfer-schachklub.de
Rudolf Angeli, 1. Vorsitzender
Tel. 040 6056677375